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Meine Bilder sind zur Zeit zu sehen in der virtuellen Ausstellung des Bahnsozialwerkes.

09 Juni 2020

Erfahrungen mit Malen auf kleinem Format / Experiences with painting on small format / Expériences de la peinture sur petit format

Auf meinem Arbeitstisch liegt zufällig ein kleiner Aquarellblock im Postkartenformat, den ich kaum benutzt habe – für mich zu winzig, um darauf noch etwas „Vernünftiges“ zu Wege zu bringen. Vorurteile, wohin man auch blickt. Dieser Block spricht mich irgendwie an: Ich könnte ihn als eine Art Spielwiese für Farbversuche benützen. Die Gouachefarben liegen bereit. Warum eigentlich nicht?
Ich erfahre, dass die Hemmschwelle zum Beginn des Malens niedriger wird. Das kleine Format verpflichtet zu nichts – es soll ja kein „besonderes Kunstwerk“ werden, was immer das auch heißen mag. Der Schlüssel ist hier, wie auch übrigens bei allem Kreativen, die Freude am Spielen. Auf einem Format von 12 x 16 cm kann eigentlich nichts schief gehen. Entstanden sind drei Bilder, deren Entstehung ich im folgenden vorstelle.

Bild Nr. 1
Das kleine Format kann gut verwendet werden, um bestimmte Prinzipien auszuprobieren, z.B. das Zusammenwirken von Kontrasten. Davon lebt jedes Bild. 
1. Ich beginne mit einer Art Grundierung der Fläche mit Farben, die im Farbkreis in harmonischem Verhältnis zueinander stehen. Die einzelnen Farbflächen sollen sich ihren Farben entsprechend ausdehnen und im Gleichgewicht zueinander stehen. Die rote Fläche dominiert hinsichtlich ihrer Farbe und der zentralen Lage auf der Bildfläche. (Farb- und Flächenkontraste)
2. Die zweite Bildebene wird ein Muster von Strichen mit Kontrastfarben, entweder in hellerer Farbe, mit Grün oder Rot.

3. Darüber werden als dritte Bildebene wenige Einzelformen, vorwiegend in Weiß oder Dunkelblau, gelegt, die mit dem darunter liegendem Strichmuster kontrastieren. (Kontrast von Gestalt zu Muster - siehe „Bildnerische Formenlehre“ von Paul Klee, s.u.)
4. In der vierten Bildebene überlagern Strichmuster teilweise wieder die Einzelformen. Diesen Prozess der Überlagerungen hätte ich noch weiter fortsetzen können, habe es aber bei den vier Ebenen belassen.
Paul Kleeerläutert in seiner „Bildnerischen Formenlehre“ (1921/22): Es gibt auf einem Bild z.B. ein Grundmuster aus Wiederholungen, sogenannte Muster oder Strukturen, eine  Art Grundrauschen. Dieses wird überlagert von individuellen „Einzelgestalten“ oder „Individuen“, die dann das Bild je nach Größe und Art dominieren können. Dieser Kontrast zwischen Struktur und Individuum kann vielfältig variiert werden.

Bild 2
Jetzt wird es ein wenig komplizierter. Auch hier beginne ich mit einer Grundierung, dieses Mal in Hell-Türkis in lockerer Malweise. Ich entscheide mich im folgenden für die Farbbereiche Gelb-Rot gegen Türkis-Blau in unterschiedlichen Helligkeiten. Ich beginne nicht mit sich wiederholdenen Mustern, sondern mit verschiedenen Einzelflächen, also individuellen „Gestalten“, die in Konkurrenz zueinander stehen (s.u.). Als Hilfsmittel und Anregung dienen mir kleine Fotos aus Zeitschriften. Zum Abschluss lege ich ein Muster aus farbigen Quadraten über den oberen Teil des Bildes, eine Art Gegengewicht zu den drei Figuren im unteren Bildteil. 
Dieses Bild zeigt zwei Probleme auf, mit denen ich immer zu tun habe:
  • Durch das Verwenden von Deckweiß besteht die Gefahr, dass viele Farbflächen milchig aussehen.
  • Durch mehrere unterschiedlich geformte und gefärbte Einzelflächen/Einzelgestalten besteht die Gefahr der Konkurrenz der Kontraste, d.h. das Bild bleibt unruhig, und es stellt sich kein bestimmendes Moment ein, an dem sich alles letztlich orientiert. Auf Bild 1 ist das bestimmende Moment die weiße Einzelgestalt in roter Umgebung. Eine Lösung für Bild 2 wäre es unter Umständen, bestimmte unruhige Konkurrenzbereiche, auf die verzichtet werden könnte, mit einer ruhigen Farbfläche oder mit deutlichen Mustern abzudecken und so den Blick des Betrachters auf das Wesentliche zu lenken.
Bild 3
Von der „anstrengenden“ Bildgestaltung bei Bild 2 entspanne ich mich wieder bei Variationen von Farben und Flächen entsprechend der Vorgehensweise bei Bild 1. Ich beginne mit einer lila Grundierung, dann folgen Variationen von Mustern farbiger Quadrate (zur Erinnerung: Muster sind Wiederholungen gleicher Formen) im „Farbdreieck“ Gelb-Orange, Türkis-Blau und Magenta. Die dritte Bildebene wird von einer Einzelgestalt, einem weißen, stilisierten Baum in Bildmitte und einem horizontalen, türkisen Band im Drittelspunkt gebildet. So wird ein Bildzentrum, das sich etwa in Bildmitte befindet, herausgearbeitet. Das Ergebnis scheint mehr eine Grafik als ein gemaltes Bild zu sein.

Erreichen der maximalen Kontraste (bei mindestens zwei Flächen) durch:
  • Hell-Dunkel-Kontrast (ist am wichtigsten, 5 Helligkeitsstufen sind ausreichend).
  • Flächen-/Mengen-Kontrast: Wo sind die größten Flächen?
  • Größten Kontrast herstellen (keine Konkurrenz von Kontrasten!).
  • Nicht das Hauptmotiv mit zu vielen Nebenmotiven stören.
  • Zusammenfassen der Bereiche gleicher Helligkeit (Haupttonwerte, "Pläne", Ordnung ins Bild bringen durch Ziehen von Grenzlinien) (führt zur Perspektive).
  • Herausarbeiten von Teilflächen eines Objektes, Rest nur skizzieren – das erhöht die Spannung.
  • Formen evtl. groß ins Bild setzen, z.T. anschneiden, d.h. bewusst einen Ausschnitt planen.
  • Geometrische Figuren in Kontrast zu organischen Figuren setzen.
Sonstige Erfahrungen
An Hand des Malens auf kleinen Papierformaten erkenne ich, welche „technischen“ Prozesse bei dieser Arbeit ablaufen können. Ergänzend dazu ist vielleicht der Blick auf innere Prozesse interessant:
  • Ich folge beim Malen bewusst abwechselnd dem Intellekt (z.B. Farbkontrast, Flächenkontrast) und der Intuition (Themenwahl, Auswahlmöglichkeiten) (1) – das braucht viel Zeit und Geduld. Das Bild bleibt manchmal länger unbearbeitet auf dem Tisch liegen und ist der stumme Begleiter meines Tages.
  • Seelischer Vorteil des Malens: Mein Bewusstsein ankert an den Tagen des Malens quasi beim Fortschritt meiner Arbeit. Das heißt, andere, möglicherweise belastende und negative Gedanken haben weniger Möglichkeiten, sich bei mir bemerkbar zu machen.
  • Abschluss: Dass mein Bild fertig ist, merke ich meistens nicht sofort, sondern erst dann, wenn ich lange zögere, etwas Neues zum Bild hinzuzufügen – so lange, bis ich sehe, jetzt würde meine Arbeit „zerstört“ werden, wenn noch etwas hinzugefügt würde. Dieser Eindruck kann sich später – nach Wochen oder Monaten – ändern. Wenn das der Fall sein sollte, sollte man sich, falls Lust dazu besteht, an eine Überarbeitung machen.
Fazit
Malen als Prozess zur Erkundung von gestalterischen Möglichkeiten – das ist auch mit dem kleinen Format gut möglich. Durch die kleine Fläche ist der Zeitbedarf überschaubar. Das Schwergewicht liegt mehr auf dem Malprozess als auf dem fertigen Bild, da es wegen seiner Kleinheit in der Regel kaum eine Wand schmücken wird. Hier kann ich leichter prüfen, ob es stimmt: „Der Weg ist das Ziel“.

Erläuterung:
(1) Bereits früh ist mir dieser innere Prozess beim Zeichnen und Malen bewusst geworden. Später lernte ich die Bücher von Betty Edwards kennen, z.B. „Das neue Garantiert zeichnen lernen: Die Befreiung unserer schöpferischen Gestaltungskräfte“, Rowohlt Verlag, 2000, in denen sie u.a. über die Anwendung der linken und rechten Gehirnbereiche beim Zeichnen und Malen schreibt. Der sogenannte Linkshirn-Modus wird aktiviert, wenn der Intellekt arbeitet, wenn etwa über zu verwendenden Maße oder Farben nachgedacht wird, der Rechtshirn-Modus, wenn die Intuition wirkt, wenn ich ohne nachzudenken entspannt male.