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Meine Bilder sind zur Zeit zu sehen in der virtuellen Ausstellung des Bahnsozialwerkes.

08 Juni 2020

Erfahrungen mit Hinterglasmalerei / Experiences with painting behind glass / Expériences de la peinture sur verso du verre

Auf meinen letzten Erfahrungsbericht hat u.a. Dieter Gottwald geantwortet und von seinem Malen von Hinterglasbildern berichtet. Ich erinnere mich an eine Sammlung solcher Bilder unter anderem von Münter und Kandinsky im Schlossmuseum Murnau.
Das hat mich angeregt, etwas Ähnliches zu versuchen. Der Lack, mit dem ich die Wände bemalt habe, müsste auch hier gut zu verwenden sein. Glas kam für Burkina Faso nicht infrage – zu zerbrechlich im Koffer. Plastikglas ist zu teuer. Aber ich habe viele Bürofolien. Damit müsste sich etwas anfangen lassen.

Teil 1: Erste Erfahrungen
Der Einfachheit halber arbeite ich erst einmal mit dem Auftrag von ungemischten Farben (dazu Weiß und Grau). Die bunten Farben stoßen natürlich „ungemütlich“ aneinander. Bald stelle ich fest, dass ich die Folie wie beim sonstigen Malen auf einer Unterlage festkleben sollte, da sie sich beim Bemalen sofort wellt. Lack ist gesundheitsschädlich, also sollte ich ihn nur draußen auf der Terrasse verarbeiten. Mit Hilfe eines kleinen Holzstocks ist schnell etwas auf die Folie gekleckst. (Der Pinsel kann erst einmal warten.) Der Lack fließt und tut nicht immer das, was er soll. Das kann schöne Zufallsprodukte ergeben oder eine große Sauerei. Ich verfolge zuerst kein System beim Auftrag der verschiedenen Schichten, stelle bald fest, dass die erste Schicht, z.B. Farbpunkte, die erste, unveränderliche Bildebene darstellen wird. Darüber wird die nächste Farbschicht gegeben, die dann den Hintergrund der Farbpunkte darstellen wird. So taste ich mich langsam an die Besonderheit der Hinterglasmalerei heran, ohne vorher etwas darüber gelesen zu haben. Nach dem Trocknen wird die bemalte Folie umgedreht und auf ein weißes (oder farbiges) Blatt Papier gelegt. Fertig. Die Farben sind allerdings nicht transparent, leuchten nur stärker, da die Folie/das Glas das Tiefenlicht verstärkt. Das Malen mit transparenten Farben ist ein eigenes Kapitel, ein Gebiet der Glaskunst.

A
B
C

















Kleiner Exkurs: Meine Arbeiten sind auch das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der Bildgestaltung. Es ist von Vorteil für das entstehende Bild, sich mit den Gesetzmäßigkeiten für eine ausgewogene Bildgestalt auseinanderzusetzen, besonders hinsichtlich der Kontraste. Bei den drei Beispielen A, B und C meiner ersten „Hinterglasmalereien“ ist das gut zu erkennen.
Im Beispiel A gibt es hinsichtlich des Farbkontrastes viele kleine Flächen (kleine Klekse, eine Art Grundmuster), die sich in ihrem Volumen nicht stark voneinander unterscheiden. Diesem Grundmuster sind einzelne „Gestalten“ überlagert. Durch diese Art von Kontrast ist ein spannendes Bild entstanden.
Im Beispiel B wird dieser Prozess der Bildgestaltung erweitert. Einzelne „Gestalten“ vergrößern ihre roten, grünen, gelben, braunen Flächen und dominieren fast das kleinräumige, blau-graue Grundmuster. Das Flächenverhältnis zwischen beiden Bereichen ist etwa ausgewogen.
Zum Farbkontrast: Jede Farbfläche hat in Bezug auf andere Farben eine optimale Größe, wenn sie sich mit der Nachbarfarbe im Gleichgewicht befinden soll. Im Beispiel B fallen die roten Flächen aus dieser Balance – Rot braucht eigentlich nur eine vergleichsweise geringe Flächengröße, um zu wirken. Allerdings ist hier das Rot etwas dunkel, verträgt deshalb größere Flächen im Kontrast zu den übrigen Farben.
Im Beispiel C dominieren nur noch die großen Flächen, die jetzt ihrerseits ein grobes Grundmuster bilden, ohne deutlich dominierende „Einzelgestalten“ aufzuweisen (diese haben sich verkleinert). Hinsichtlich der Kontraste findet ein Ausgleich statt – nichts dominiert. Damit wirkt das Bild tendenziell langweilig, da kein bestimmendes Objekt ins Auge fällt.
Zu Regeln in der Kunst: Die Gesetzmäßigkeit einer ausgewogenen Bildgestaltung ist bei abstrakten Bildern leichter zu erkennen als bei gegenständlichen Bildern. Wie bei allen sogenannten „Regeln“ in der Kunst gilt auch hier: Das bewusste Verletzen dieser „Regeln“, sozusagen die Abweichung von der Norm, kann zu einer besseren Bildaussage führen. Das hängt aber von den individuellen Fähigkeiten des Künstlers ab, deren Anwendung sich kaum gesetzmäßig beschreiben lässt.

Paul Klee erläutert in seiner „Bildnerischen Formen- lehre“ (1921/22): Es gibt auf einem Bild z.B. ein Grundmuster aus Wiederholungen, sogenannte Muster, eine Art Grundrauschen. Dieses wird überlagert von individuellen „Einzelgestalten“, die dann das Bild je nach Größe und Art dominieren können. Dieser Kontrast zwischen Muster und Einzelgestalt kann vielfältig variiert werden.

Gerhard Richter hat 2008 eine Serie von kleinen, beeindruckenden Bildern „Lack hinter Glas“ angefertigt, auf denen er viele Farb- kombinationen variiert hat und der Lack sichtbar Fließspuren hinterlassen hat. Ich habe sie einmal im Original in der Fondation Beyeler in Basel gesehen. (https://www.gerhard- richter.com/de/art/paintings/abstracts/works-behind-glass-94) Einzelne Bilder kann man sich schön anschauen auf der Webseite https://www.gerhard-richter.com/de/art/microsites/sinbad

Fazit 1: Ein Nachteil des Malens auf Folien ist es, dass diese sich beim Farbauftrag etwas wellen. Dafür leuchten die Farben mit Hilfe der Folie, und die „Spur“ der fließenden Farben tritt deutlich hervor. Meine Versuche des Malens auf Folie mit dem „gesteuerten Zufall“ haben mich noch nicht befriedigt. Die Unebenheiten der Folie stören mich beim fertigen Bild, da sie quasi eine neue Bildebene ergeben, die vom Farbgeschehen ablenkt. Ich bin mir sicher, dass solche Bilder auf Glas eindeutiger und klarer herauskommen und dann aufgrund der besseren Tiefenlichtwirkung ansprechender sein werden.

Teil 2: Das Wesen der Hinterglasmalerei erkennen
Mir wird bewusst, dass sich die Hinterglasmalerei nicht nur im „Ausschütten von Lack“ erschöpft. Durch die Umkehr der normalen Arbeitsschritte bestehen ganz neue Anforderungen. Beim Malen mit deckenden Farben auf Papier oder Leinwand beginne ich gerne mit dem Auftrag einer farbigen Grundierung, die Teile des späteren Hintergrundes bilden wird. Anschließend werden Schicht für Schicht die Farbflächen aufgetragen, die die vorhergehende Schichten zum Teil überdecken. Bei diesem Malprozess entwickeln sich die Farbebenen quasi von hinten nach vorne und ich habe jederzeit das Endergebnis im Blick, d.h. ich erkenne sofort, wann ich fertig bin.
Beim Malen auf Glas ist das nicht der Fall. Beim Auftragen jeder Farbschicht wandere ich andersherum durch die Farbebenen, quasi von vorne nach hinten. Das, was ich später auf der Oberseite sehe, muss sofort in einem ersten Schritt angelegt werden – beim normalen Malprozess stellt das meistens den Abschluss der Arbeit dar. Ich muss meinen Malprozess bei der Hinterglasmalerei also völlig umstellen. Zur Kontrolle des Arbeitsergebnisses kann ich mir die Glasseite anschauen, kann aber immer nur an den jeweils noch freien Flächen den Hintergrund gestalten. Beim Malen gegenständlicher Motive muss ich mir von Anfang an klar sein, wie das Endergebnis aussehen soll. Ich habe weniger Freiheiten, mich von Zufälligkeiten leiten zu lassen. Diese bleiben abstrakten Motiven vorbehalten, wie ich es im ersten Teil beschrieben habe.
Bei der Hinterglasmalerei muss mir also bewusst sein, dass ich bei jedem Arbeitsschritt eindeutige Schichtebenen erzeuge, die nicht mehr zugedeckt und verändert werden können. Es können natürlich alle möglichen Malmittel verwendet werden. Bei bestimmten Farben besteht die Gefahr, dass die neue Farbschicht beim Auftrag die vorhergehende anlöst und verändert – das kann bei Lack und bei Ölfarben der Fall sein.


Wikipedia erläutert die Technik der Hinterglasmalerei: Anders als bei einem Gemälde wird die Farbe auf der Rückseite des Bildträgers aufgetragen, wobei alle Motive und Schriftzüge seitenverkehrt gemalt werden und auch die Reihenfolge der Arbeitsschritte umgekehrt wird: Zuerst werden die Konturen gezeichnet, dann die Schrafften und Schatten, Beschriftungen und Details, danach werden die Motive ausgemalt und ganz zum Schluss schließt der Hintergrund die restliche Bildfläche.

Paul Klee begann 1905 mit Zeichnungen auf Glas zu experimentieren. ... Das Problem, das er selbst beschrieb, war nun, dass er ... in der Behandlung der Töne umgekehrt denken musste. Er verglich sich in dieser Situation mit derjenigen eines Holzschneiders, der mit der Negativform arbeitet. Neben diesen schwarz-weißen Bildern begann er bald, sich wieder mit der Farbigkeit auseinanderzusetzen und verwendete auch hierzu die Hinterglasmalerei. ... Bis 1911 entstanden zahlreiche Hinterglasmalereien, die in ihrer Formensprache ... das zeichnerische und malerische Oeuvre auf Papier und Leinwand stark veränderten.“ (Christian Rümelin: Paul Klee - Leben und Werk, C.H.Beck-Verlag 2004)

Auch interessant: Im Rahmen des Förderprogramms „Forschung in Museen“ bewilligte die VolkswagenStiftung in Hannover dem Museum Penzberg – Sammlung Campendonk, Penzberg ein Forschungsprojekt zur „Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905– 1955“ mit einer Laufzeit von Ende 2015 bis Mitte 2019.
... In der Ausstellung „Tiefenlicht. Malerei hinter Glas von August Macke bis Gerhard Richter
am Museum Penzberg – Sammlung Campenden wurden neben 29 Hinterglasarbeiten der Klassischen Moderne, die innerhalb des Forschungsprojektes zuvor gründlich analysiert wurden, auch Werke zeitgenössischer HinterglasmalerInnen präsentiert (23.9.2017 - 4.2.2018). Zum Abschluss des Forschungsvorhabens werden im Sommer 2020 im Museum Penzberg – Sammlung Campendonk Hinterglasarbeiten aus einer Zeitspanne von 1910 bis 1960 in einer Ausstellung gezeigt [derzeit nicht geplant], begleitet von einem Katalog sowie einem Hinterglas-Symposium im Herbst 2020 in Berlin. (http://hinterglas-klassischemoderne.de/projekt)

Bei der klassischen Vorgehensweise der Hinterglasmalerei beginne ich in der Regel mit den endgültigen Details, etwa einer Zeichnung, mit kleinen Flächen, die dann Schicht für Schicht von immer größeren Flächen überdeckt werden. Im Malprozess muss ich alles vom Ende her denken. Wenn man eine Bildvorlage benutzt, kann man das Glas bzw. die Folie darauflegen und direkt darauf zeichnen und malen, bis man von der Vorlage nichts mehr sieht. So etwas kann für den Anfang eine gute Hilfe sein.
Das Besondere bei den Bildern der Hinterglasmalerei sieht man in der deutlichen Wirkung des Tiefenlichtes. In der Malerei spricht man von „Tiefenlicht“, wenn das Licht durch Farbschichten auf die helle Grundierung trifft und von dort zurückscheint. Durch Lasuren, Firnisse und Glas wird das Tiefenlicht verstärkt.

Bei meinem nebenan gezeigten Bildbeispiel habe ich mit Lasuren begonnen. Diese wurden später durch deckende Farben überdeckt und verschwanden dadurch fast. Ich hätte die Lasurtechnik fortsetzen sollen. Dann wäre abschließend ein heller Hintergrund, der die Lasuren zur Geltung bringt, besser gewesen. Es ist bei der Hinterglasmalerei nicht leicht, die Konsequenzen der umgekehrten Arbeitsschritte zu bedenken.

Fazit 2: Die Beschäftigung mit einem unscheinbaren, abseitigen Thema wie der Hinterglasmalerei hat mir neue Aspekte der Malerei eröffnet, da z.B. eine andere Reihenfolge der Arbeitsschritte beim Malen mein gewohntes Arbeiten durcheinanderbringt und etwas bei mir in Bewegung bringt. Die Bedeutung einer solchen Änderung bzw. „Störung“ sollte nicht unterschätzt werden.