Auf meinem Arbeitstisch liegt zufällig ein kleiner Aquarellblock im Postkartenformat, den ich kaum benutzt habe – für mich zu winzig, um darauf noch etwas „Vernünftiges“ zu Wege zu bringen. Vorurteile, wohin man auch blickt. Dieser Block spricht mich irgendwie an: Ich könnte ihn als eine Art Spielwiese für Farbversuche benützen. Die Gouachefarben liegen bereit. Warum eigentlich nicht?
Das kleine Format kann gut verwendet werden, um bestimmte Prinzipien auszuprobieren, z.B. das Zusammenwirken von Kontrasten. Davon lebt jedes Bild.
2. Die zweite Bildebene wird ein Muster von Strichen mit Kontrastfarben, entweder in hellerer Farbe, mit Grün oder Rot.
3. Darüber werden als dritte Bildebene wenige Einzelformen, vorwiegend in Weiß oder Dunkelblau, gelegt, die mit dem darunter liegendem Strichmuster kontrastieren. (Kontrast von Gestalt zu Muster - siehe „Bildnerische Formenlehre“ von Paul Klee, s.u.)
4. In der vierten Bildebene überlagern Strichmuster teilweise wieder die Einzelformen. Diesen Prozess der Überlagerungen hätte ich noch weiter fortsetzen können, habe es aber bei den vier Ebenen belassen.

Bild 2

Dieses Bild zeigt zwei Probleme auf, mit denen ich immer zu tun habe:
- Durch das Verwenden von Deckweiß besteht die Gefahr, dass viele Farbflächen milchig aussehen.
- Durch mehrere unterschiedlich geformte und gefärbte Einzelflächen/Einzelgestalten besteht die Gefahr der Konkurrenz der Kontraste, d.h. das Bild bleibt unruhig, und es stellt sich kein bestimmendes Moment ein, an dem sich alles letztlich orientiert. Auf Bild 1 ist das bestimmende Moment die weiße Einzelgestalt in roter Umgebung. Eine Lösung für Bild 2 wäre es unter Umständen, bestimmte unruhige Konkurrenzbereiche, auf die verzichtet werden könnte, mit einer ruhigen Farbfläche oder mit deutlichen Mustern abzudecken und so den Blick des Betrachters auf das Wesentliche zu lenken.
Bild 3

- Hell-Dunkel-Kontrast (ist am wichtigsten, 5 Helligkeitsstufen sind ausreichend).
- Flächen-/Mengen-Kontrast: Wo sind die größten Flächen?
- Größten Kontrast herstellen (keine Konkurrenz von Kontrasten!).
- Nicht das Hauptmotiv mit zu vielen Nebenmotiven stören.
- Zusammenfassen der Bereiche gleicher Helligkeit (Haupttonwerte, "Pläne", Ordnung ins Bild bringen durch Ziehen von Grenzlinien) (führt zur Perspektive).
- Herausarbeiten von Teilflächen eines Objektes, Rest nur skizzieren – das erhöht die Spannung.
- Formen evtl. groß ins Bild setzen, z.T. anschneiden, d.h. bewusst einen Ausschnitt planen.
- Geometrische Figuren in Kontrast zu organischen Figuren setzen.
- Ich folge beim Malen bewusst abwechselnd dem Intellekt (z.B. Farbkontrast, Flächenkontrast) und der Intuition (Themenwahl, Auswahlmöglichkeiten) (1) – das braucht viel Zeit und Geduld. Das Bild bleibt manchmal länger unbearbeitet auf dem Tisch liegen und ist der stumme Begleiter meines Tages.
- Seelischer Vorteil des Malens: Mein Bewusstsein ankert an den Tagen des Malens quasi beim Fortschritt meiner Arbeit. Das heißt, andere, möglicherweise belastende und negative Gedanken haben weniger Möglichkeiten, sich bei mir bemerkbar zu machen.
- Abschluss: Dass mein Bild fertig ist, merke ich meistens nicht sofort, sondern erst dann, wenn ich lange zögere, etwas Neues zum Bild hinzuzufügen – so lange, bis ich sehe, jetzt würde meine Arbeit „zerstört“ werden, wenn noch etwas hinzugefügt würde. Dieser Eindruck kann sich später – nach Wochen oder Monaten – ändern. Wenn das der Fall sein sollte, sollte man sich, falls Lust dazu besteht, an eine Überarbeitung machen.
Fazit
Malen als Prozess zur Erkundung von gestalterischen Möglichkeiten – das ist auch mit dem kleinen Format gut möglich. Durch die kleine Fläche ist der Zeitbedarf überschaubar. Das Schwergewicht liegt mehr auf dem Malprozess als auf dem fertigen Bild, da es wegen seiner Kleinheit in der Regel kaum eine Wand schmücken wird. Hier kann ich leichter prüfen, ob es stimmt: „Der Weg ist das Ziel“.
Erläuterung:
(1) Bereits früh ist mir dieser innere Prozess beim Zeichnen und Malen bewusst geworden. Später lernte ich die Bücher von Betty Edwards kennen, z.B. „Das neue Garantiert zeichnen lernen: Die Befreiung unserer schöpferischen Gestaltungskräfte“, Rowohlt Verlag, 2000, in denen sie u.a. über die Anwendung der linken und rechten Gehirnbereiche beim Zeichnen und Malen schreibt. Der sogenannte Linkshirn-Modus wird aktiviert, wenn der Intellekt arbeitet, wenn etwa über zu verwendenden Maße oder Farben nachgedacht wird, der Rechtshirn-Modus, wenn die Intuition wirkt, wenn ich ohne nachzudenken entspannt male.